Interview mit Holger Wendling

Interview mit Holger Wendling

Im Rahmen unserer Ausstellung „… und sowas schmeißen die weg?!“ schrieben wir einige Kuratorinnen verschiedener Museen und Sammlungen an und baten sie anhand einiger Fragen sich zum Thema ‚Entsammeln‘ zu äußern. Diese Fragen hingen von der grundsätzlichen Bereitschaft des Museums ab, zu entsammeln, sodass wir zwei Fragebögen erstellten: Pro und Contra.
Diesem Interview stellte sich Holger Wendling, Wissenschaftlicher Leiter Archäologie & Dürnbergforschung am Keltenmuseum Hallein, Österreich.

Der Prähistoriker Holger Wendling vom Keltenmuseum Hallein (Foto: © Keltenmuseum Hallein)

Beschreiben Sie kurz Ihre tägliche Arbeit und die Sammlung, die Sie betreuen.
HW: Als Mitarbeiter des Salzburg Museum und Leiter der Archäologie und Dürrnbergforschung am Keltenmuseum Hallein bin ich für zwei Sammlungsbereiche verantwortlich: In Salzburg betreue ich den Bestand an prähistorischen Objekten in der weit umfangreicheren archäologischen Sammlung. Die Objekte decken hier ein weites qualitatives Spektrum von einzelnen Keramikfragmenten bis hin zu berühmten Prunkstücken wie dem bronzezeitlichen Helm vom Pass Lueg oder der Schnabelkanne vom Dürrnberg, einer Insignie der keltischen Kunst, ab. Die Schnabelkanne wird im Keltenmuseum Hallein präsentiert und schlägt so den Bogen zu meinem zweiten Tätigkeitsbereich als wissenschaftlicher Leiter der dortigen Archäologie. In Hallein befindet sich eine der umfangreichsten und qualitätvollsten Sammlungen zur eisenzeitlich-keltischen Besiedlung Europas der Jahre von 600–100 v. Chr.
Momentan widme ich mich intensiv der Aufarbeitung und Publikation vergangener Grabungen und der Präsentation der Archäologie des antiken Salzbergbauzentrums auf dem Dürrnberg in Forschung und Öffentlichkeit. Zudem kuratiere ich Sonderausstellungen – zur Zeit etwa eine Sonderschau zum bronzezeitlichen Bergbau und der Himmelsscheibe von Nebra – und entwickle Konzepte für Dauerausstellungen. Bei archäologischen (Not-)Grabungsmaßnahmen in Hallein und auf dem Dürrnberg habe ich die wissenschaftliche Grabungsleitung inne und integriere die geborgenen Funde in die bestehende Sammlung.

Worin besteht Ihr Sammlungskonzept und was passiert, wenn Ihnen Objekte überlassen werden, die dem nicht entsprechen?
HW: Das Sammlungskonzept der archäologischen Sammlung des Keltenmuseums hat natürlich einen deutlich lokalen Bezug. Objekte und archäologische Dokumentation der Ausgrabungen in den eisenzeitlichen Siedlungen, Gräberfeldern und dem Salzbergwerk des Dürrnberges sollen in die Sammlung aufgenommen und wissenschaftlich ausgewertet werden. Insofern ist es grundsätzlich nicht vorgesehen, dass Objekte inventarisiert werden, die diesem Sammlungsziel nicht entsprechen. Gleiches gilt in einem größeren regionalen Kontext für die archäologische Sammlung des Salzburg Museum. Mitunter kommt es aber doch vor, dass man mit archäologischen Objekten konfrontiert wird, deren Herkunft bestenfalls dubios ist und die schlimmstenfalls aus illegalen Raubgrabungen stammen. Bei solchen Dingen verhindert natürlich das wissenschaftliche Ethos und das Bekenntnis zur „Konvention von Malta“ eine einfache Übernahme in die Sammlung – man ist schließlich nicht verpflichtet, Schenkungen entgegenzunehmen oder gar anzukaufen und würde hier vielmehr alle Hebel in Bewegung setzen, einem solchen Tun Einhalt zu gebieten.
Daneben kommt es aber doch vor, dass bei Ausgrabungen Dinge entdeckt werden, die nicht dem engeren zeitlichen oder kulturellen Forschungsgebiet entsprechen. Als Kulturwissenschaftler sind solche „Dinge“, etwa die menschlichen Überreste aus einem frühneuzeitlichen Massengrab in der Halleiner Kirche aber natürlich auch von großem Interesse und wichtige Quellen zur Geschichte des Ortes und der Region.

Menschliche Skelettreste als Sammlungsobjekte erfordern einen besonderen und pietätvollen Umgang. Foto: © Keltenmuseum Hallein

Wann und was war der letzte konkrete Fall, bei dem Sie entsammelt haben?
HW: Tatsächlich wurden die menschlichen Skelettreste aus eben diesem Grab, nachdem sie genauestens anthropologisch und archäometrisch untersucht worden waren, in einer Sekundärbestattung bei der Kirche, d. h. auf dem ehemaligen Friedhof der Gemeinde nachbestattet. Diese Nachbestattung erfolgte nach römisch-katholischem Ritus in einem sehr pietätvollen Umgang mit den menschlichen Relikten. In diesem konkreten Fall waren nach Abschluss der naturwissenschaftlichen Analysen ja keine weiteren umwälzenden Forschungserkenntnisse zu erwarten, weshalb eine reine Aufbewahrung im Museumsdepot unnötig erschien.

Aus welchen Gründen und in welchem Umfang entsammeln Sie?
HW: Bislang und für absehbare Zeit ist die Wiederbestattung der Menschenreste aus der Halleiner Kirche ein Einzelfall. Da die Quellen der Archäologie als Teil der material culture studies rein materieller Art sind, würde ein Entsammeln der antiken Objekte ja einem umfassenden Informationsverlust gleichkommen. Insofern widerspräche das Entsammeln im Prinzip der materiellen „Datenspeicherung“. Dies umso mehr, als dass natürlich nicht abzusehen ist, welche neuen Methoden, insbesondere in den Naturwissenschaften, künftig für die Analyse „alter“ Sammlungsobjekte zur Verfügung stehen. Da die Archäologie aber eine der wenigen Wissenschaften ist, die einen stetigen Quellenzuwachs in Form von Neufunden erfährt, wird man sich mittel- und langfristig über angemessene Formen der Datenspeicherung im musealen Kontext Gedanken machen müssen. Vielleicht muss man sich hierbei auch überlegen, wie man mit stetig zunehmenden „Massenfundkomplexen“, also Keramik- oder Knochenbeständen umgeht und ob man bei zunehmender Raumknappheit in Depots nicht doch gezwungen ist, bestimmte Objektbestände dauerhaft zu „verlagern“, d.h. zu entsammeln.

Wie dokumentieren Sie entsammelte Objekte und was passiert danach mit ihnen?
HW: Würde ich in Erwägung ziehen, archäologische Objekte zu entsammeln, könnte dies natürlich nur nach vorheriger umfassender qualitativer und quantitativer Erfassung geschehen. Dies gehört idealerweise in der Archäologie aber ohnehin zum Standard der wissenschaftlichen Inventarisierung und Auswertung. Grundsätzlich würde aber auch hier gelten, dass Dinge nur entsammelt werden können, wenn vorher eine Prüfung durch unabhängige wissenschaftliche Gutachter stattfand. Jedes Museum hat hierfür streng vorgeschriebene Ablaufpläne, die letztlich eine Entscheidung durch das wissenschaftliche Kollegium, Museumskuratorien oder ähnliche Gremien herbeiführen. Auch im Salzburg Museum und dem Keltenmuseum Hallein sind Sammlungsstrategien zuvorderst in den Statuten als gemeinsamer Prozess definiert. Hierin folgen das Sammeln und gegebenenfalls das Entsammeln einem ganz genau festgeschriebenen Reglement, das immer mehrere Kontrollinstanzen durchläuft.
Hierdurch wird ja bereits einem missbräuchlichen Entsammeln etwa zum Zwecke der persönlichen Bereicherung entgegengewirkt. Dies wird weiterhin erschwert, indem die entsprechenden Objekte letztlich wohl zerstört oder irreversibel deponiert werden müssten. Wie gesagt, ist ein solches Vorgehen in meinem museal-archäologischen Arbeitsumfeld momentan jedoch nicht aktuell.

Was ist Ihre persönliche Meinung zum Thema „Entsammeln“?
HW: Als Archäologe leitet einen wohl nicht zuletzt die Faszination an „alten Dingen“, seien es nun herausragende Kunst- und Bauwerke oder die kleinen Details oder vermeintlich unscheinbaren Relikte der Vergangenheit. Eine jahrhunderte- oder jahrtausendealte Scherbe kann über ihre rein materielle Struktur hinaus ein ganzes Spektrum an Informationen bereit halten, die nur durch zukünftige Analysemethoden zu erkennen sein mögen. Insofern ist Entsammeln natürlich immer ein Vabanquespiel zwischen momentanen Bedürfnissen und Einschätzungen des derzeitigen, vor allem aber des zukünftigen Erkenntnispotentials. Ich stehe ihm hiernach also wohl eher kritisch gegenüber, fürchte aber, dass sich auch die Archäologie mit ihrem enormen Zuwachs an materiellen Funden rein aufgrund des Platzbedarfes in Zukunft stärker mit der Frage auseinandersetzen werden muss.

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